FAKTEN GEGEN VORURTEILE


1. November 2013 TanjaKeller 0 Comment

In die deutsche Asyldebatte mischen sich oft Vorurteile statt Fakten, subtile Gefühlslagen überlagern rationale Tatsachen. Diese Gemengelage machen sich Neonazis zunutze, die mit ihrer rassistischen Hetze bestehende Ängste von Anwohner* innen aufgreifen und für ihre Zwecke instrumentalisieren. Das zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel der selbst ernannten “Bürgerinitiativen”, die sich schnell zusammenfinden, wenn es um die Einrichtung neuer Flüchtlingsunterkünfte geht.

 

Besonders gefährlich: Nicht jede*r dieser “besorgten Bürger*innen”, wie es im Duktus der rechten Initiativen gerne heißt, ist rechtsextrem. Durch die offene Propaganda politisch klar einzuordnender Diskutierender verschärft sich jedoch schnell das Diskussionsklima – Solidarisierungseffekte treten ein. So lassen sich auch nicht-rechte Menschen leicht mit in den Strudel aus Aggression, Vorurteilen und Hass hineinziehen.

Für Neonazis geht es bei der offenen Hetze gegen Asylsuchende um den Aufbau und das Aufrechterhalten typischer Feindbild-Strukturen. Verallgemeinerung und Vereinfachung komplexer sozialer Gefüge erzeugt ein künstliches “Gruppen-Wir”, das dann gegen das feindliche “Die Anderen” abgegrenzt wird. Durch die ständige Wiederholung radikaler Stereotype und fanatischer Zukunftsvisionen geht es den Rechtsextremen darüber hinaus darum, Ängste in der nicht-rechten Bevölkerung zu schüren.

Mit dieser vergleichsweise leicht zu durchschauenden Strategie der Eskalierung versuchen Neonazis, Diskussionen zu verschärfen und zu radikalisieren. Ziel dieser Strategie ist, rationale Argumentationsgrundlagen zu entkräften, um Unruhen sowie Aggressionen zu entfesseln. Anwohner/innen sollen “endlich handeln”, so zumindest die oft verwendete Forderung rechter Propagandisten.
Den leider nicht nur sprachlichen Eskalierungsversuchen durch Rechtsextreme begegnet man am besten mit Versachlichung: Viele der vermeintlichen Argumente, die von Neonazis gegen Asylsuchenden gerne angebracht werden, lassen sich leicht entkräften – einige Beispiele:

“Deutschland wird überrannt”
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stellte fest, dass viele Deutsche große Angst vor einer vermeintlichen “Überfremdung” haben. Grundlage dafür ist das Gefühl, Deutschland nehme viel mehr Flüchtlinge als andere Länder auf. Tatsächlich werden in Deutschland mehr Anträge auf Asyl als in anderen europäischen Ländern gestellt. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass Deutschland auch eines der größten und bevölkerungsreichsten Länder Deutschlands ist.

Dieses Bild dreht sich, setzt man die Zahl der Anträge ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Auf der Seite “Fakten gegen Vorurteile” des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses e. V. (ifp) wurde dies für 2011 exemplarisch gemacht: Im Verhältnis fällt Deutschland dann etwa im Jahr 2011 auf Platz sieben der Aufnahmeländer. In Dänemark, der Schweiz und Belgien werden demzufolge deutlich mehr Asylanträge pro Kopf gestellt. In Schweden, dem Spitzenreiter, suchen nach der Rechnung des ifp sogar fünfmal so viele Menschen Asyl wie in Deutschland.

“Die Asylsuchenden nehmen uns die Arbeitsplätze weg”
In den ersten neun Monaten nach ihrer Ankunft dürfen Asylsuchende überhaupt nicht arbeiten. Auch nach Ablauf dieser Frist prüfen die zuständigen Arbeitsämter zunächst, ob sie eine freie Stelle nicht mit Deutschen, EU-Bürger*innen oder Migrant*innen mit einer Aufenthaltserlaubnis besetzen können. Konkret bedeutet dies, dass Asylsuchende nur “nachrangig” berücksichtigt werden. In Bundesländern mit einer hohen Arbeitslosenquote heißt das, dass Geflüchtete kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz haben.

“Es werden immer mehr”
Tatsächlich ist die Zahl der Asylsuchenden 2012 im Vergleich zum Vorjahr um über 40 Prozent auf 64.539 gestiegen. 2013 werden es wohl 100.000 sein. Das hört sich im ersten Moment nach viel an. Vergleicht man die Zahlen allerdings mit den Zahlen vergangener Jahre relativiert sich der Eindruck: Seit Anfang der 1990 Jahre ist die Zahl der Asylanträge stetig gesunken, wie PRO ASYL errechnet hat: So gab es im Jahr 2007 einen Tiefstwert von knapp über 19.000 Asylanträgen. Wird diese Zahl als Vergleichswert herangezogen, wirken prozentuale Steigerungen natürlich verhältnismäßig hoch.

“Die Flüchtlinge/Ausländer sind doch alle kriminell – das beweist doch die Statistik”
Bei der sogenannten “Ausländerkriminalität” fängt die Diskriminierung schon in der Terminologie an. Leider wird dieser Begriff nicht nur von Rechtsextremen, sondern auch von einigen Politiker*innen benutzt. Sie berufen sich dabei auf die Kriminalstatistik, laut der knapp ein Drittel aller in Deutschland erfassten Delikte von Menschen mit ausländischem Pass begangen werden. In Relation dazu, dass nur neun Prozent der Bevölkerung keinen deutschen Pass haben, ziehen sie den Schluss, dass “Ausländer” grundsätzlich krimineller als Deutsche seien. Schaut man sich die Kriminalstatistik genauer an, stößt man schnell auf verschiedene, das Ergebnis verzerrende Faktoren. So gibt es zum Beispiel Straftaten – Meldevergehen, falsche Angaben über Herkunft und Einreiseweg sowie illegaler Grenzübertritt – die faktisch nur von Nicht-Deutschen begangen werden können. Darüber hinaus wird keine Unterscheidung zwischen der ausländischen Wohnbevölkerung und durchreisenden und nur vorübergehend in Deutschland lebenden Personen gemacht.
Der letzte Aspekt hat psychologische Ursachen und steht exemplarisch für das Klima gegenüber Migrantinnen und Migranten in vielen Teilen der Gesellschaft. Die Kriminalstatistik führt nämlich auch Tatverdächtige auf, die nicht zwangsläufig auch die Täter sein müssen. Nun ist es aber so, dass “Ausländer” grundsätzlich schneller unter Tatverdacht geraten und darüber hinaus auch häufiger angezeigt werden, weil die “Anzeigefreudigkeit” gegenüber Bürger*innen mit Migrationshintergrund in der Gesamtgesellschaft höher ist.

“Die Flüchtlinge wollen nur von unserem Sozialsystem profitieren”
Für Asylsuchende gilt in Deutschland das Asylbewerberleistungsgesetz. Die dort gesetzlich festgelegten Sozialleistungen lagen 2012 bei 224 Euro und damit um 47 Prozent unter den als Existenzminimum geltenden Hartz IV-Regelsätzen. Seit Verabschiedung des Gesetztes 1993 waren die Leistungen nicht mehr erhöht worden. Im Juni 2012 entschied das Bundesverfassungsgericht schließlich, dass dieser Betrag angehoben werden müsse, da er unter dem »würdigen Existenzminimum« liege, das im Grundgesetz verankert ist. Bis zur Anpassung des Gesetzes stehen alleinstehenden Asylsuchenden nun künftig 336 Euro zu und Kindern bis zum sechsten Geburtstag 202 Euro.

Zahlen gegen rassistische Hetze
Schon einen Blick auf die nackten Zahlen entkräftet viele rassistischen Stammtischparolen, wie eine Zusammenstellung des Magazins stern zeigt: So würden die Kosten für Asylsuchende etwa eine Milliarde Euro betragen – was gerade einmal 0,3 Prozent des Bundesetats entspreche. 1994 habe es 352.572 Asylsuchende in Deutschland gegeben – 2012 seien es 78.000 gewesen. Zudem würden nur 1,5 Prozent aller Asylanträge überhaupt genehmigt, so dass auf 100.000 Deutsche ein*e Asylsuchende*r käme. Und schließlich ließ der stern auch eine Umfrage dazu erstellen, wie die Deutschen über die Aufnahme von Flüchtlingen generell denkt. Das Ergebnis: Immerhin 59 Prozent wollen, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnimmt.