BRAUNE ERDE VON DANIEL HÖRA


31. Oktober 2012 TanjaKeller 0 Comment

„Ich hörte ihre Schritte, ihren keuchenden Atem, ihre Versuche leise zu sein. Zwei Schatten schlichen um mein Versteck. Ich schloss die Augen und versuchte meine Angst ganz tief in meinen Kopf zu sperren. Ich wollte mir nicht ausmalen, was sie mit mir anstellen würden, wenn sie mich erwischten. Sie würden mich nicht schonen, das war mir klar. Ich wusste zu viel.“

Mit diesen Sätzen zieht Daniel Höra die Leser*innen seines neuen Romans „Braune Erde“ von Anfang an in den Bann. Auf knapp 300 Seiten entfaltet er ein erschreckendes Szenario: Eine ganze Dorfgemeinschaft wird – ohne es zu merken – von rechtsextremen Siedler*innen übernommen. Das Buch “Braune Erde” zeigt eindringlich, wie wichtig ein aufmerksames und kritisches Bewusstsein für unterschwelligen Rechtsextremismus ist.

Der 15-Jährige Ben wohnt bei seiner Tante in einem kleinen Dorf in Mecklenburg. Perspektivlosigkeit und das Gefühl, von der Politik und dem Rest der Welt vergessen worden zu sein, bestimmt den Alltag der Bewohner*innen. Das „Dorf der Busfahrer“, wie er selbst es nennt, wird nach und nach von sogenannten „Völkischen Siedlern“ in Besitz genommen. Diese füllen die Lücken in der sozialen Gemeinschaft des Dorfes, organisieren Feste, bieten Kurse in völkischem Tanz an, gründen eine Bürgerwehr und setzen sich für die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls unter den Dorfbewohner*innen ein.

Für Ben werden die beiden völkischen Familien zu einer Ersatz-Familie. Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen und zu seiner Tante und seinem Onkel hat er kein gutes Verhältnis. Auch mit deren beiden Kindern kann er nichts anfangen. Ben ist ein intelligenter Junge, liest viel und gerne und wird darum von seinen Verwandten als Sonderling wahrgenommen. Bei seiner neuen Familie wird er zunächst so akzeptiert wie er ist. Die Eltern Reinhold und Uta hören ihm zu und geben ihm Ratschläge, ihre Tochter Freya verliebt sich in ihn und die Zwillinge Gunter und Konrad werden seine Freunde und „Kameraden“. Sie erkunden zusammen das Gelände, führen militärische Übungen durch und fahren zusammen auf eine Demonstration Rechtsextremer in Berlin – für Konrad der erste Besuch der Hauptstadt. Die Zwillinge machen keinen Hehl aus ihrer rechtsextremen Gesinnung und werfen mit nationalistischen Parolen nur so um sich. Reinhold hingegen versucht, über Literatur und Geschichte bei Ben einen Zugang für rechtsextremes Gedankengut zu schaffen. Da Ben Reinhold sehr bewundert und als eine Art Vaterfigur stilisiert, gelingt es diesem, Ben für „die Sache“ zu begeistern.

Doch die Ereignisse überschlagen sich, je näher es auf das Fest der Sommersonnenwende zugeht:

„,Das Lügenbuch der Anne Frank‘, hörte ich Konrad wie einen irren Prediger rufen. ,Ich übergebe es dem Feuer.‘ Mit flatternden Seiten flog das Buch in die Flammen und verschwand zwischen den rotglühenden Holzstämmen.“

Als Gegenpol zu den völkischen Siedler*innen wirkt im Dorf der Künstler Georg. Ben, der mit ihm befreundet ist, gerät so zwischen die Fronten. “Bist du für uns oder gegen uns?” – diese Frage bringt Bens Konflikt auf den Punkt. Er muss sich entscheiden. In einem Konflikt, der für einen der Dorfbewohner tödlich enden wird.

Für Jugendliche, die sich bereits mit Rechtsextremismus auseinandersetzen und insbesondere das Phänomen von Völkischen Siedler*innen und Autonomen Nationalist*innen kennen, dürften die Hinweise auf den rechtsextremen Hintergrund der Siedlerinnen und Siedler etwas zu dicht gestreut und offensichtlich sein, um wirklich einen Überraschungseffekt zu erzeugen. Dies wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass die Kapitel jeweils mit einem kurzen Blick in die Zukunft eingeleitet werden, was die Spannung aufrecht erhält. Höra zeigt in seinem Roman, wie Rechtsextreme durch das Aufgreifen sozialer Lücken eine ganze Dorfgemeinschaft übernehmen können und weist damit auf die Gefahren der rechtsextremen Unterwanderung der gesamten Gesellschaft hin.

Wir empfehlen den Roman für interessierte Menschen zwischen 13 und 16 Jahren.