INTERVIEW ZU DEN PROTESTEN GEGEN DEN “THÜRINGENTAG DER NATIONALEN JUGEND” IN KAHLA


10. Juni 2013 TanjaKeller 0 Comment

Am 15. Juni 2013 wollen Neonazis im beschaulichen Kahla ihr jährliches Festival “Thüringentag der nationalen Jugend” veranstalten. no-nazi.net sprach mit Vertreter*innen des Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar (BgRW) über die Neonaziszene in Thüringen, deren Verbindungen zum NSU und die geplanten Gegenproteste.

 

1. Am 15. Juni planen Neonazis in Kahla den sogenannten „Tag der nationalen Jugend“? Warum soll das Nazifest gerade in  der Kleinstadt Kahla stattfinden?

BgRW:  Kahla ist seit den 1990er Jahren ein Rückzugsort für viele Neonazis, u.a. hat hier jahrelang der Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann [Anmerkung der Redaktion: Die Wehrsportgruppe Hoffmann war einer rechtsradikale Terrorgruppe und wurde 1980 verboten] sein Zuhause gehabt. Besonders nach den erfolgreichen Blockaden gegen das sogenannte „Fest der Völker“ sind Neonazis in die umliegende Regionen von Jena ausgewichen, da sie hier mit weniger Widerstand rechneten und diesen auch bis heute nicht so in der Konsequenz zu spüren bekommen. Dies ist erst einmal eine rein faktische Zustandsbeschreibung. Der soziale Zusammenhalt in dörflichen bzw. kleinststädtischen Gemeinschaften funktioniert teils anders. Hier haben es BürgerInnen oft schwerer, etwas gegen aufkommende Nazi-Aktivitäten zu unternehmen, da oft die Angst besteht, das Gemeinschaftsgefühl zu stören. Nur mühsam und unter einigem Widerstand finden sich seit einiger Zeit BürgerInnen in Kahla zusammen, und finden den Mut, etwas zu tun. Dies bedarf auch einer Unterstützung von außen. Letztere darf aus unserer Sicht aber lediglich ein Unterstützen sein und nicht ein autarkes „Eingreifen“ und Aufstülpen von außerhalb.

 

2. Es heißt, die Neonazis stammen aus dem Umfeld der NSU. Welche Verbindungen bestehen genau zwischen den Organisator*innen und dem rechtsterroristischen Netzwerk?

BgRW: Die Anmelder des Nazifest stammen aus der Nähe von Saalfeld und sind maßgeblich an der Solidaritätskampagne für Ralf Wohlleben beteiligt. Der ehemalige Jenaer NPD-Chef ist mutmaßlicher Unterstützer des NSU-Netzwerkes und zählt zu den führenden Neonazis in Sachsen. Momentan muss er sich wegen Beihilfe zum Mord im Rahmen des NSU-Prozesses vor dem Landgericht München verantworten. Es wird vermutet, dass das Neonazi-Event am 15. Juni auch dafür genutzt wird, Spenden für ihren inhaftieren Kameraden “Wolle” (wie er auch in der Neonazi-Szene genannt wird) zu sammeln.

3. Das „Aktionsnetzwerk“ hat an dem Tag Menschenblockaden angekündigt, die das Nazifest verhindern sollen. Wie sieht momentan die Stimmung in der Stadt aus. Gibt es viele Menschen, die sich an den Protesten beteiligen wollen?

BgRW:  Nicht nur das Aktionsnetzwerk Jena, sondern ein breites Bündnis, zu dem ersteres gehört, ruft zu Blockades des sogenannten „Thüringentages der nationalen Jugend“ auf. Es ist aber richtig, dass es gerade die Jenaer betrifft, die sich hier maßgeblich auch verantwortlich fühlen, weil Kahla ein Rückzugsgebiet auch für ehemalige Jenaer Nazis ist und man deswegen Kahla nicht ignorieren kann, wenn es um Engagement gegen Rechts geht. Das Blockadebündnis besteht aus dem Aktionsnetzwerk Jena, dem Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar, dem Aktionsbündnis Gera gegen Rechts sowie dem Aktionsbündnis Courage aus Pößneck. Weiterhin erhalten wir Unterstützung von Parteien und Verbänden sowie vielen EinzelunterstützerInnen.

Die Stimmung in Kahla vor Ort ist eher zwiegespalten bzw. auch sehr zurückhaltend. Wir spüren eine gewisse Skepsis gegenüber unserem Blockadekonzept. Aus diesem Grund gab und gibt es aber Gespräche zwischen Interessierten und Initiativen vor Ort in Kahla und VertreterInnen unseres Bündnisses. Dies ist wichtig, um von unserer Seite zu verdeutlichen, dass es keine „schwarzen Horden“ sind, die in Kahla für einen Tag einfallen, sondern dass es eine gemeinsame Anstrengung aller DemokratInnen sein muss, den Nazi-Spuk in Kahla zu verhindern bzw. mindestens zu behindern. Aus Kahla selbst heraus rechnen wir nicht mit einer Masse an Menschen, die sich unserem Konzept anschließen. Wir rechnen aber momentan mit einer guten Mobilisierung aus Jena, Weimar, Gera, Pößneck und anderen Landesteilen Thüringens.

4. Was erhofft ihr euch für den 15. Juni? Wie soll der Tag verlaufen?

BgRW:  Für den 15. Juni erhoffen wir uns eine erfolgreiche Umsetzung unseres Blockadekonzeptes – in solidarischer Verbundenheit mit anderen Gruppen, die sich an diesem Tag den Nazis in vielfältiger Weise entgegenstellen. Für uns gilt an diesem Tag der seit vielen ähnlichen Protesten erfolgreich erprobte Aktionskonsens, dass von unseren Protesten keine Eskalation ausgehen wird und dass wir solidarisch mit anderen sind, die das Ziel an diesem Tag mit uns teilen. Wie der Tag im Einzelnen verlaufen wird, können wir momentan noch nicht genau verlautbaren. Um aber einen Erfolg anzustreben, werden wir voraussichtlich am frühen Vormittag u.a. mit Bussen in Kahla anreisen. Unser Ziel ist es, an diesem Tag die Nazi-Veranstaltung zu verhindern, aber gleichzeitig auch für über den Tag hinaus den Kahlaer BürgerInnen das Signal auszusenden, dass sie in dem Engagement gegen Nazis in uns zu jeder Zeit einen Partner haben, dass wir sie nicht allein lassen. Uns ist durchaus bewusst, dass mit einer Blockade an einem Tag das Problem des Rechtsradikalismus nicht abgeschafft wird. Solche Aktions- und Protestformen können immer nur an diesem einen betreffenden Tag ein Ergebnis zeigen. Dies ist nicht kleinzureden, es ist wichtig. Aber es muss und soll ermutigen zu einem weiterführenden Engagement. Im besten Fall kann es ein Aufbruchsignal sein für ein verstetigtes Engagement. Dafür wären wir gern Partner und bieten unsere Solidarität.

Das Interview führte Olga Wendtke